Kulinarischer Exkurs

(Vorsicht! Verursacht Hunger!)

Eine richtige insulare Küche gibt's eigentlich nicht. Hauptnahrungsmittel war in jenen Tagen natürlich der selbstgefangene Fisch, Schollen, Seezungen, Heringe, Makrelen, die gebraten und gekocht wurden. Was damals Arme-Leute-Essen war wird Ihnen heute in vielen Restaurants der Insel appetitlich angerichtet und mit mancherlei, was ostfriesisch oder auch nicht ist garniert. Natürlich haben sich die Köche der Insel an die Vorlieben der Gäste gewöhnt, aber Fisch ist immer noch ein Hauptbestandteil der Karte, und das ist gut so. Dieser hat oft eine längere Reise hinter sich, die ihn über den Großmarkt in Bremen auf Ihren Teller führt. Kabeljau, Seelachs (heißt eigentlich Dorsch) und Rotbarschfilet finden Sie auch im Laden bei sich zuhause.

Miesmuscheln werden auf großen Sandbänken gezüchtet und jedes Jahr geerntet. Früher gab es sie nur in den kalten Monaten, weil sie das Wasser filtern und in der warmen Jahreszeit zu viele Schwebstoffe aufnahmen. Heutzutage werden sie hier aufgepäppelt, geerntet und im Süßwasser der Scheldemündung bei unseren holländischen Nachbarn zur Veredelung einige Zeit wieder ausgesetzt. Da auch die Kühlung der Muscheln heutzutage kein Problem mehr ist, finden Sie das ganze Jahr über Miesmuscheln z.B. auf rheinische Art auf jeder Karte, die etwas auf sich hält. Kann man aber auch selbst machen, ist ganz einfach. Dazu Baguette, Kräuterbutter und ein trockener Grauburgunder.

Krabben in Cocktailsoße wie sie der Autor am liebsten mag

Früher legten die Krabbenkutter morgens nach erfolgreichem Fang im Hafen an und verkauften frisch an die dort schon wartenden Norderneyer. Heutzutage fahren sie leider gleich zur Genossenschaft nach Norddeich weiter, wo man sich zentral um Kühlung, Weiterverarbeitung und Absatz kümmert. Trotz einiger vielversprechender Ansätze ist es immer noch nicht gelungen, eine Krabbenpuhlmaschine zu entwickeln, die zufriedenstellende Ergebnisse liefert. Ein Großteil des noch auf dem Kutter gekochten und gesiebten "Granat" fährt im Kühllaster gen Tunesien oder fliegt nach Kasachstan, wo er von flinken Frauenhänden gepuhlt wird. Aber aromatischer sind natürlich die Selbstgepuhlten. Kaufen Sie doch ein Tütchen im Fischladen und lassen Sie sich von einem Norderneyer zeigen, wie man die gemeine Nordseekrabbe (crangon crangon) aus ihrem Panzer schält.

Bestimmt nicht ostfriesisch, aber nichtsdestoweniger süchtig machend ist Mutters Cocktailsauce, die sie zu frisch gepuhlten Krabben reicht, sie rechnet etwa 100gr Krabbenfleisch pro Nase. Man mische 4 EL gute Mayonnaise, 2 EL Tomaten-Ketchup und 1 EL Cumberland-Sauce mit dem Saft einer halben Zitrone, schmecke das Ganze mit Salz und etwas Cayenne-Pfeffer ab und hebe zum Schluß eine gute Tasse geschlagene Sahne unter die Creme, hmmmm....

Heiß geräucherten Fisch

Unser Nachbar hatte eine Räuchertonne, der er regelmäßig mit Birkenholz einheizte. Das Holz stand ursprünglich im Wattenmeer als Seezeichen und wurde im Herbst geborgen. Als Maschinist bei der Wasserschutzpolizei kam er auch an den fürs Räuchern nötigen frischen Fisch. Geräucherte Makrele, Knurrhahn, noch warm, hmmmm! Jamie Oliver, der bekannte wilde Fernsehkoch, demonstrierte unlängst eine einfache Art zu räuchern, die Sie auch zuhause durchführen können: Zunächst mache man einen Kurzbesuch im Angelladen des Vertrauens und besorge sich dort Buchenholzchips (-späne, -schnitzel), die Sie zwei Finger hoch in eine einfache große Keksdose füllen. Dem Holzbett fügen Sie ein paar Reiser frische Gewürze zu, z.B. Rosmarin oder Thymianzweige, und decken das ganze mit Aluminiumfolie ab, in die Sie mit einer Gabel einige Löcher stechen. Darauf legen Sie z.B. einige Streifen Lachs, die Sie etwas gesalzen und geölt haben. Deckel drauf und auf mittlerer Stufe ca. 8 Minuten erhitzen. Weils nun heftig dampft eignet sich dafür am besten eine transportable Kochplatte und ein Balkon. Und wenns zu gut duftet, haben Sie bald die ganze Nachbarschaft zu Gast...

Rund um Helgoland werden Hummer gefangen. Dort gibt es eine Forschungsstation, die für den Erhalt der Art sorgen soll. Die gefangenen und trächtigen Weibchen werden dort abgegeben, die männliche Hummerbevölkerung landet bei entsprechender Größe ohne langen Umweg im Kochtopf. Mit Kräuterbutter und Weißbrot ein (leider teures) Gedicht!

Ich muß Ihnen noch zwei kulinarische Insider-Tips ans Herz legen, falls Sie mit dem Auto kommen. Geräucherten Fisch, insbesondere Aal und Lachs, kaufen Sie in Bad Zwischenahn bei Bruhns oder essen dies und manch andere Spezialität beim Spieker, einem urig umgebauten ammerländischen Bauernhaus. Allerdings nehmen Sie sich ein wenig Zeit: das halbe Oldenburger Land kauft bei Bruhns den in eigenen Öfen geräucherten Fisch, der appetitlich angerichtet in den Auslagen zu sehen ist. Die freundlichen Verkäuferinnen haben alle Hände voll zu tun. Mittlerweile gibt's auch ein paar Sitzecken, wo man die Spezialitäten auch gleich vor Ort genießen kann. Lohnt sich.

Und in Emden gibt's eine Matjes-Fabrik, Fokken&Müller, am Eisenbahndock 11, von der Autobahn nur 5 Minuten entfernt. Dort hat man für hungrige Ostfriesen eine Art Lagerverkauf eingerichtet zu gewerkschaftlich vertretbaren Arbeitszeiten: mo-fr 8-9:30h, 10:30-12:30h und 13-15:30h (außerhalb der Öffnungszeiten auch beim Stand am Emder Ratsdelft). Matjes in allen Variationen gibt's dort: pur, in Öl, als Stip, in Curry, in Sherry, mit Knob- oder Bärlauch, als roter Salat, Rollmops, als Brathering und in einem Dutzend anderer Sorten. Ich mag am liebsten den geräucherten auf grobem friesischen Schwarzbrot, mnjam!

Wenn die Matrosen früher auf Seefahrt gingen, mussten die mitgeführten Nahrungsmittel haltbar und gehaltreich sein. Nicht jedermanns Sache, aber dafür sicherlich ein Essen, das von der Küste stammt, ist Labskaus, ein Gericht aus Kartoffelbrei mit roten Beeten und Cornedbeef, dazu grüne Heringe und einen guten trockenen Weißwein. Oder ein kühles Jever. Fisch muß schwimmen!

Wenn es Muttern vor einem graute, dann war es der jährliche Grünkohl-Tag. In unserem kleinen Garten hinter dem Haus wuchs natürlich das ostfriesische Nationalgemüse, in manchen Gegenden Deutschlands auch Braunkohl genannt. Die Ernte ist eine mühselige Angelegenheit. Sobald der erste Frost über den Kohl gegangen ist wird er vom Feld geschnitten, die Blätter vom Strunk getrennt und in der Badewanne gereinigt: Einmal, zweimal, dreimal mindestens. Ist aller Sand entfernt wird er gehackt und tiefgefroren oder wandert sogleich in den Kochtopf, wo er in etwas Salzwasser stundenlang köchelt. Im Oldenburgischen lässt man sog. Pinkel (ostfr.: pink = "kleiner Finger"), eine fette und grobe Grützwurst (Speck, Hafer- oder Gerstengrütze, Rindertalg, Schweineschmalz, einiges Gewürz) als sogenannte "Opferwurst" mitkochen, es tut aber auch eine schöne Scheibe Kasseler. Nachdem das Wasser verdunstet ist (in manchen Gegenden wird der Sud mit Haferflocken gebunden) wird er mit Salz, Pfeffer und viel Schmalz abgeschmeckt: Grünkohl muß glänzen, ganz wichtig. Er darf dabei ruhig am Boden etwas ansetzen. Am besten schmeckt er, wenn er frei nach Wilhelm Busch zum dritten Mal aufgewärmt wurde. Dazu gibt's Kartoffeln und nach dem Essen einen kühlen Klaren, einen Genever (Wacholderschnaps) oder einen Weizenbrand zum Magenaufräumen.

Früher waren Ostfriesland und das angrenzende Emsland bitterarme Gegenden, in denen die Menschen mühevoll die Moore trocken legten und Torf stachen, damals ein begehrter Brennstoff, heute als Blumendünger beliebt. In diesen nährstoffarmen Gegenden wuchs allenfalls der anspruchslose Buchweizen, und so war er wichtiger Bestandteil der damaligen Küche. Die Pfannkuchen bestehen aus Buchweizenmehl, Eiern, Ostfriesentee bzw. im Emsland Kaffee, Salz sowie Schmand. Der Teig wird in ausgelassenem Schweinespeck zu flachen Fladen gebraten, ein kalorienreiches Gebäck für kalte und harte Wintermonate. An hohen christlichen Feiertagen wurden dazu Schwarzbrot, Zuckerrübensirup, Preiselbeeren, Blaubeeren oder Apfelmus gereicht.

Ob und wie gerne man als Gast des Hauses gesehen war, konnte man früher daran erkennen, wie viele gebratene Speckstreifen im Pfannkuchen eingelassen waren: Gern gesehene Gäste erhielten eine gerade Anzahl, ungeliebte Schwiegersöhne bekamen ihre Pfannkuchen mit einer ungeraden Zahl Speckstreifen serviert.

Eine leider ziemlich aussterbende Tradition ist das Backen von Neujahrswaffeln, auch Eiserkuchen genannt. An dieser Stelle sei Oma Kluin ein Denkmal gesetzt, die halb Norderney damit verwöhnte, ganz egal zu welcher Jahreszeit. Sie backte riesige Mengen und beglückte uns Kinder immer wieder damit. Die Dinger wurden leider streng rationiert.

Der Teig enthält viel Zucker und gemahlenen Anis. Er wird in speziellen Waffeleisen hauchdünn gebacken und dann noch weich aufgerollt. Der Zucker karamelisiert beim Erkalten und sobald die Waffelröllchen bruchhart sind werden sie in Keksdosen trocken aufbewahrt. Oder alsbald pur oder mit einer passenden Füllung verdrückt: hmmm...

Wo wir gerade bei Zucker sind: Kandis nennt man die großen Zuckerkristalle, die im heißen Tee so wunderbar knistern. Heutzutage kann man ihn überall als sog. Presskandis oder Krustenkandis kaufen, neuerdings erfreuen sich Kandisstäbchen (Sticks) im Tee großer Beliebtheit. Man kann ihn aber auch selber machen: man stelle eine übersättigte Zuckerlösung her, z.B. 500ml Liter heißes Wasser, in dem man 1,5 Kilo Zucker auflöst. Der Sirup wird nun in ein Glasgefäß umgeschüttet, über das Schaschlikspieße gelegt werden, an denen Baumwollfäden hängen. Am besten gelingt es, wenn man die Fäden etwas nass macht und kurz in (Puder-)Zucker wendet, dann wachsen die Kristalle an den Zuckerkeimen besser. Und am Ende ein Kandisklümpchen anbinden, damit die Fäden schön 'stramm' in der Lösung hängen. Alternativ kann man auch mit Wäscheklammern befestigte Holzstäbchen in die Zuckerlösung hängen oder stellen, die eine raue Oberfläche haben müssen. Nach einigen Wochen (!) setzen sich die Kristalle an den Fäden ab. Wenn man den Vorgang einige Male wiederholt, wachsen dicke Kandisklumpen. Allerdings braucht man dafür Geduld und viel viel Zeit, ein in Ostfriesland reichhaltig vorhandener Rohstoff...

Auch friesische Leidenschaften sind ein typisch ostfriesisches Gebäck. Man kann die gebutterten Blätterteigbrezeln überall kaufen, am besten schmecken Sie zum Ostfriesentee.

Eine eher ostfriesische denn insulare Tradition ist es, im 6. Monat Rosinen in Weinbrand einzulegen. Ist das Baby dann da, wird die ganze Nachbarschaft zum Bontjesopp-Umtrunk (ostfr. für Bohnensuppe) und Kindergucken eingeladen. Klar, es wird keine Gelegenheit ausgelassen, zu klönen und zu feiern. Die Geburtenrate im Regierungsbezirk liegt signifikant über dem Bundesdurchschnitt, vermutlich liegt das an den langen und dunklen Nächten zwischen November und März. Und das ist auch gut so.

Besanschot an!

Besan nennt man das zusätzliche viereckige Gaffelsegel am hintersten Mast eines Großseglers (der Begriff stammt übrigens wie überhaupt einige maritime Wörter aus dem arabischen). Und Schoten sind die Seile, mit denen man die Stellung des Segels reguliert. Allerdings lief bei diesem Kommando niemand zu den Schoten, denn es verhieß den Matrosen nach einem harten Manöver oder einem arbeitsreichen Tag einen Extra-Becher Rum aus der Schatulle des Kapitäns. Also ein sehr beliebtes Kommando, wie sich denken läßt. Heute trinkt man den Rum eher in Form eines heißen Grogs, nach einem Strandspaziergang im November nicht zu verachten. Damit das Glas mit kochendem Wasser nicht springt, wird er in besonderen Groggläsern angerichtet, die ähnlich wie die schwäbischen Viertele-Gläser aussehen. Mein Vater gab immer einen Spritzer 80er dazu, "der Farbe und des Aromas wegen".

Die alten Norderneyer haben dafür ihr eigenes Grog-Rezept:

    Rum muß,
    Zucker kann,
    Wasser muß nicht...

Sie sehen, Ostfriesland und seine Inseln sind durchaus eine Region, die sich mit kulinarischen und traditionsreichen Leckereien nicht hinter anderen Landstrichen zu verstecken braucht.