ein bisschen Geschichte

Die ostfriesischen Inseln sind im Gegensatz zu ihren nordfriesischen Kollegen in Schleswig-Holstein kein Rest des Festlands, also entstanden bei Sturmfluten, sondern aus nicht mehr regelmäßig überspülten Sandbänken gewachsen, auf denen sich zunächst eine spärliche, anspruchslose Vegetation niederließ wie etwa der Queller (salicornia europaea) und der Strandhafer (Ammophilia arenaria), das Silbergras (Corynephorus canescens), die Stranddistel (Eryngium maritimum) und der Sanddorn (Hippophae rhamnoides), von dem es männliche und weibliche Pflanzen gibt: Nur letztere bringen Ende August die orangenen, sauren, Vitamin C-reichen Früchte hervor. Auf einer der Nachbarinseln, Langeoog, blüht ihm daher jedes Jahr ein grausames Schicksal: die Zweige der weiblichen Sträucher werden gnadenlos abgeschnitten, tiefgekühlt und so die Beeren vom Strauchwerk getrennt. Denken Sie an diese rüde Behandlung, wenn Sie sich ein Glas Konfitüre mit nach Hause nehmen. Die Norderneyer enthalten sich erfreulicherweise solcher Art Körperverletzung - probieren Sie daher ruhig in freier Natur, wie die Früchte frisch schmecken...

Irgendwann, vermutlich im 16. Jahrhundert, beschlossen einige Küstenfischer, den Anreiseweg zu den Fanggründen zu verkürzen und schlugen erst sommers, später ganzjährig ihr Domizil auf Nordernye-Oog auf (Norder Neue Insel, Norden = nächste Stadt auf dem Festland). Das Leben damals war hart und kümmerlich, viele männliche Bewohner fanden ihr nasses Grab auf See während sie versuchten, sich und ihren Familien den Lebensunterhalt zu verdienen. Andere dienten auf den großen Handelsseglern, die damals von Bremen und Hamburg in alle Welt fuhren. Ja, schon damals kamen die Insulaner ganz schön in der Welt herum...

Genaueres weiß man erst seit es regelmäßige Aufzeichnungen über die Insel gibt. 1797 wird Norderney offiziell zum Seebad durch die ostfriesischen Landstände ernannt, was dem umtriebigen Landphysikus Dr. von Halem zu verdanken ist. Damals verzeichnete er 106 Häuser, 506 Einwohner, davon 52 Witwen. Nicht zu fassen, daß das erst 200 Jahre her ist!

Ein Jahr später gab es trotz Geldknappheit (gabs damals auch schon) und Bestrebungen daraus, die Ernennung zu widerrufen, bereits 50 Badegäste. Dr. von Halem läßt 1799 für unvorstellbare 1.394 Taler das Kurhaus bauen. Im Jahr darauf verzeichnete man 70 Fremdenbetten und eröffnete somit das Seebad offiziell. Nach einigen Jahren des Zuwachses kommt 1807 die Katastrophe: Im Frieden zu Tilsit wird Norderney Holland zugeschlagen und verarmt völlig. Napoleon verhängt die Kontinentalsperre gegen die Seemacht England und requiriert die gesamte Handelsflotte der Insel. 1810 wird Ostfriesland Teil eines französischen Departements und die Insel bekommt Soldaten und Befestigungen gegen die britischen Schmuggelversuche: die Napoleonschanze - heute ein idyllisches Wäldchen, das sich derzeit von der sog. Ulmenkrankheit erholt, einer vom Ulmensplintkäfer übertragenen Pilzkrankheit. Von dort konnten die französischen Kanonen den Handelsseglern der Briten sowohl see- als auch wattwärts einheizen - was diese aber nicht sonderlich kümmerte.

In dieser Zeit spielt der Roman 'Der Schmugglersohn von Norderney' von Sophie Wörishöffer: Wie alle Insulaner beteiligt sich der junge Onnen Visser am Schmuggel mit den Konterbandewaren der Engländer und schlägt den verachteten französischen Besatzern immer wieder ein Schnippchen. Das geht solange gut bis er selbst zum Soldaten Napoleons ausgehoben wird und nach Rußland marschieren muß. Er entkommt der Truppe, erlebt aber versteckt als Zigeuner mit Freunden den Brand Moskaus und die Niederlage an der Beresina, den Untergang der französischen Armee. Auf verschlungenen Pfaden gelangt er unverletzt wieder in die Heimat - ein spannender Roman, als Lektüre für verregnete Inselabende sehr geeignet.

Nachdem wir nun also das französische Reich zu Grabe getragen haben, können wir wieder preußisch werden bzw. zum Königreich Hannover wechseln (1814/1815). Die Ostfriesischen Provinzialstände verzichten 1819 aus finanziellen Gründen auf die 'Rechte' aus der Seebadeanstalt - Norderney wird Königlich hannoversches Staatsbad. 1822 verzeichnen wir 650 Einwohner in 135 Häusern, 343 Gästebetten in 264 Fremdenzimmern.

1825 kommt Heinrich Heine und schreibt schönes und nicht so schönes auf der Marienhöhe. Ihm gefällt es gut hier und so kommt er auch im Folgejahr. Sein Denkmal steht vor dem Haus der Insel. Außerdem kommen u.a. der hannoversche Kronprinz und Herzog von Cumberland, Wilhelm von Humboldt, Dr. Eckermann, König Ernst-August, die Reichskanzler Bismarck und Fürst von Bülow usw.

Linktip

alte Norderney-Postkarten:
akpool.de
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Kapitän Pahl

1840 holt der Blanke Hans die Dünen im Westen der Insel unwiderruflich - die Nordsee steht buchstäblich im Dorfe. Aber erst nach der Sturmflut von 1855 wird massives Deckwerk geplant. Drei Jahre später sind 950 Meter um den Nordwestkopf der Insel fertig. 1862 kommt das erste Rettungsboot, im Jahr danach entsteht die einzige Windmühle der ostfriesischen Inseln. 1866 geht das Königreich Hannover in Preußen auf. 1872 gehts dann so richtig los: Die erste Dampfschiffverbindung nach Norddeich wird eingerichtet und die Chronik verzeichnet den Eigentümerwechsel von 40 Grundstücken: Es lebe die Bodenspekulation...

1873 wird der Leuchtturm, der Hafen und eine Synagoge gebaut. Im Folgejahr entsteht der Geneverdeich im Bereich der heutigen Südhoffstraße. Angeblich haben die Bauarbeiter dem Getränk damals so zugesprochen, daß der Deich seinen Namen für alle Zeiten weg hatte. 1877 sind wir bei 2084 Einwohnern und 6374 Kurgästen angelangt.

Ich denke, der weitere Ausbau der Insel wird Sie, lieber Leser, nicht unbedingt interessieren, so seien nur noch die Highlights genannt: Seit 1892 fährt die Eisenbahn bis Norddeich. 1914 gibt es so gut wie keine Fischerei mehr, dafür bahnt sich eine Rekordsaison an: Bis Ende Juli verzeichnete man 40.000 Kurgäste, die von 4.300 Norderneyern umsorgt wurden, doch dann macht der erste Weltkrieg die Insel zur Seefestung. Nach dem Krieg langsame Erholung bis auf 52.000 Kurgäste im Jahre 1938. Dann ging das Elend von vorne los. Norderney wird nicht nur Flugabwehrfestung, sondern auch Flughafen für Wasserflugzeuge, den die Engländer 1941 in Schutt und Asche legen.

Nach dem Zusammenbruch erholen sich zur Abwechslung einmal britische Soldaten hier, die Insel nimmt viele Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten auf (Herzlichen Dank!!). 1946 wird sie zum Niedersächsischen Staatsbad und im Folgejahr als Nordseeheilbad anerkannt, 1948 wird Norderney Stadt! 1951 kommen die Göttinger Symphoniker als Kurorchester. Ihre Nachfolger, die Warschauer, halten die symphonische Tradition auch heute noch hoch. Zu den Konzerten der vielumjubelten Künstler reisen Musikfreunde aus halb Norddeutschland an, daher auch die Spätverbindungen der Frisia im Sommer zum Festland.

1952 ging es uns Deutschen schon wieder so gut, daß die Insel 1,2 Mio Übernachtungen zählte. Norderney wächst und wächst. Tja, und mit vielen kleinen und großen Maßnahmen wird es in den Folgejahren zu dem was es heute ist: ein modernes Kurbad, ein Reiseziel für Familien und Erholungsuchende gleichermaßen, gut und relativ schnell zu erreichen, ein Ferienzentrum, das für jeden Geschmack etwas bietet.