Mord auf Norderney

Diesen Artikel habe ich vor einem halben Jahr schon mal geschrieben, bevor mir mein USB-Stick mit den ansonsten nirgendwo gesicherten Texten (schön blöd!) die Mitarbeit verweigerte. Damals endete der Text soweit ich mich erinnere: "Gott sei Dank brauchte der lokale Stadtsheriff bisher noch niemanden wegen Mordes festzunehmen - und das ist ja auch gut so." Nunja, er brauchte das auch bis heute nicht zu tun, denn die Übeltäter, die unlängst im Suff einen Insulaner erstachen, wurden auf dem Festland gestellt und bekamen lebenslang. Auch das ist gut so.

Wenn man mal Krimi und Norderney im Internet sucht, könnte man meinen, auf dieser Insel sei niemand und nichts sicher. Seit einiger Zeit haben die Autoren die Regio-Krimis entdeckt, die sich offenbar wie warme Semmeln verkaufen. So lernen wir, dass in der Eifel jedes Jahr Menschen unter merkwürdigsten Umständen umkommen, und dass im tiefsten Bayern niemand sicher ist, wissen wir seit die Rosenheim-Cops und andere im Alpenvorland vor meist sonnenbeschienenen Bergen ermitteln.

Ostfriesland und seine Inseln eignen sich natürlich besonders als Kulisse für finstere Taten und abscheuliche Verbrechen, zumal viele Orte einen hohen Wiedererkennungswert haben. Aber keine Angst, trotz der vor kurzem begangenen Untat weist die Statistik erfreuliche Werte auf, wenn man mal von den für eine touristische Region typischen Straftaten wie Diebstahl unabgeschlossener Fahrräder und Wirtshausstreitigkeiten absieht.

Aber zurück zur kriminalpolizeilichen Literatur. Machen Sie mit mir eine kleine Reise in die Tiefen der menschlichen Abgründe (hui, was für ein Wortspiel!) und vor allem der kribbelnden Urlaubslektüre mit lokalem Einschlag.

Angefangen haben dürfte es mit Sophie Wörishöffers Onnen Visser - der Schmugglersohn von Norderney. Der spannende Roman aus dem Jahre 1885 spielt vor dem Hintergrund der napoleonischen Besetzung Ostfrieslands. Nachdem die insularen Fischer beim Schmuggeln von englischen Konterbandewaren ertappt worden sind, wird der 16jährige Onnen Visser in die französische Armee gepresst und erlebt deren Untergang im eisigen Russland. Mit diesem Buch kann man recht gut eine Zeitreise zum Anfang des 19. Jahrhunderts machen. Ein halbes Jahrhundert später sollte sich die Geschichte wiederholen...

1903 erschien in London Erskine Childers' "The Riddle of the Sands", in deutsch Das Rätsel der Sandbank: Zwei Freunde kreuzen mit einem kleinen Segelboot durch das Wattenmeer vor der ostfriesischen Küste, bei ihren Begegnungen kommt ihnen so einiges "spanisch" vor, und so versuchen sie zu erkunden, was eine Gruppe finsterer Gestalten zu verbergen sucht. Im Stile eines Spionageromans zeichnet Childers ein stimmungsvolles Bild der Jahrhundertwende: für jeden Segler, der zwischen den Inseln kreuzt, und für alle historisch Orientierten ist der Roman ein Muß, sogar zeitgenössische Seekarten sind im Buch abgedruckt. Angesichts der danach kommenden Ereignisse des 1. und 2. Weltkriegs ist man geneigt, dem Autor hellseherische Fähigkeiten zuzuschreiben. Unter Mitwirkung vieler Insulaner wurde der Stoff auch an Originalschauplätzen verfilmt.

Ebenfalls unter Beteiligung von Insulanern wurden 2003 zwei Episoden der neuen Pfarrer Braun-Reihe auf der Insel gedreht. Natürlich kann Braun alias Ottfried Fischer das "kriminalisieren" nicht lassen als eine vermögende rüstige Dame und Mitglied der kleinen katholischen Gemeinde unvermittelt stirbt. Und als ein Skelett in den Dünen entdeckt wird ist sein Spürsinn ebenso geweckt. Als Ortskundiger kommt einem die ein oder andere Kulisse sehr bekannt vor. Weckt Heimweh.

Die aus Norden gebürtige Antje Friedrichs lässt ihren eigentlich überarbeiteten Kommissar Onno Tjaden zur Kur auf Norderney antreten. Und wie in solchen Fällen immer geschieht natürlich ein Mord in der Klinik: Eine Krankenschwester schwimmt tot im Pool. Doch Tjaden ist ja verurteilt, sich aus allem heraus zu halten. Die zuständigen Kollegen aus Norden beißen sich an den unbrauchbaren Aussagen des Personals und den treffend gezeichneten skurrilen Patienten die Zähne aus. Als neben Onno beim Inhalieren ein weiterer Kurgast tot umfällt, ist sein beruflicher Instinkt nicht mehr im Zaum zu halten. Letztes Bad auf Norderney, die Autorin dürfte in einer bestimmten Kurklinik strenges Hausverbot haben: zuviele Interna...

Sandra Lüpkes lässt ihre Heldin, die Auricher Kommissarin Wencke Tydmers, die Koffer packen, endlich Urlaub, doch dann verschwindet ihr Bruder auf Norderney - dort ermitteln bereits ihre Kollegen in einem anderen Fall und wie sich herausstellt verdächtigen sie eben Tydmers Bruder - da kann Wencke natürlich nicht stillsitzen und stürzt sich in das insulare Getümmel - Der Brombeerpirat, ein Blick hinter die Kulissen der jugendlichen Szene und ihrer Probleme, aber auch ein stimmungvoller Krimi mit vielen netten Einfällen - da denkt man sich am Ende des Buchs: Schade, schon vorbei...

Nur ein toter Maler ist ein guter Maler: bei Tatjana Kruse ist der Titel des Krimis, der auch ein bißchen auf Norderney spielt, Programm. Sie lässt ihre Protagonistin einen totkranken Arbeitskollegen auf Norderney portraitieren. Leider sterben fast alle sonst noch vorhandenen Anwesenden, merkwürdige Figuren, eine etwas abgedrehte Story, die Auflösung ist so hergesucht wie die Insel gar keine Rolle spielt.

Nicolas Freeling - Mord auf Norderney ist vergriffen, sein Kommissar Van der Valk aus Amsterdam (den kennen Sie vielleicht aus der gleichnamigen Fernsehkrimiserie der 70er Jahre mit der eingängigen Titelmelodie "Eye Level", Simon Park Orchestra) unternimmt eine Urlaubsreise, kommt bei dieser Gelegenheit auf Seite 80 auf unsere Insel, findet einen Toten (der nur so tat als ob er tot wäre), trifft ein paar niederländische Umstürzler, verlässt auf Seite 160 die Insel wieder, tut noch dies und das an verschiedenen Orten, die man nicht kennen muß, bevor er in Flensburg nicht ermordet wird. Ist ganz gut so, daß es den Roman nicht mehr gibt...

Wenn die Kommissare Prinz-Heinrich-Mützen oder sogenannte Elbsegler auf dem Kopf tragen und "All op stee" bei jeder sich bietenden Gelegenheit ausrufen (Alles in Ordnung), dann hat man einen Friesenkrimi von Theodor Reisdorf in der Hand. In Nebeltod auf Norderney verknüpft er leider die Kurzbiografien von zu vielen irgendwie Beteiligten und wickelt eine mörderische Story drum herum. Ich hatte nicht wirklich Spaß an dem Buch.

Nach eigenem Untertitel ist Deichschatten von Daniela Anna Eckstein ein Mystery-Thriller, der auf Norderney spielt. Leute verschwinden, tauchen wieder auf, können sich nicht entscheiden, suchen und finden und finden auch wieder nicht, und das alles vor der Kulisse von Norderney. Nundenn, das gibt ne prima Lektüre für den nächsten Inselurlaub.

Eher ein Jugendbuch, dessen Inhalt auf der Insel spielt, ist Treffpunkt Tatort 05: Die Rache von Klaus Peter Wolf. Im Urlaub auf Norderney wird Jan Silber entführt, allerdings war offenbar sein wohlhabender Freund Tim das eigentliche Ziel. Kann Jan von seinen Freunden oder vom Kommissar Lohmann gerettet werden, bevor die Entführer ihren Irrtum entdecken?

Das Geheimnis der Dünen - Gefährliche Ferien auf Norderney ist ein Kinderbuch von Jonas Torsten Krüger. Vor dem Hintergrund der insularen Natur strickt der Autor einen Umweltkrimi; mit dem Buch können Kinder eine Menge über Pflanzen, Tiere, das Meer und die mit ihm lebenden Menschen lernen.

Schließlich sei hier noch der Thriller Fürchte dich nicht von Jürgen Kehrer erwähnt, der Norderney für ein Gipfeltreffen der hohen Politik ausgewählt hat, wie schön! Doch plötzlich tauchen auf der Insel gefährlich mutierte Zecken auf, die offenbar nicht ohne Absicht in Umlauf gebracht wurden. Die Folgen ihrer Bisse beunruhigen den Norderneyer Stadtsheriff und eine Berliner Virologin so stark, dass sie eigene Ermittlungen anstellen - ein Politikkrimi mit sehr beunruhigenden Aussichten...

Bleibt also zu wünschen, dass die internationale Politik weiterhin nach Heiligendamm fliegt während Bundes- und Ministerpräsidenten "unerkannt" und fern der Berliner und Sylter Schickeria entspannten Urlaub auf Norderney machen - für spannende Urlaubslektüre für Präsidenten und uns Normalurlauber ist jedenfalls gesorgt.