Neues von der Seekrankheit

    Erst glaubt man zu sterben.
      Dann ist es einem egal, ob man stirbt.
        Und schließlich wünscht man sich nichts sehnlicher als zu sterben...

Nunja, Seekrankheit ist schon ein übles Verbrechen an der Menschheit, darauf hätte man gut verzichten können. Auf der knapp einstündigen Überfahrt von Norddeich zur Insel kann man eigentlich nicht wirklich seekrank werden, auch wenn es in der Kehre vor der Alten Teestube manchmal ein paar Minuten lang ganz schön schaukelt. Aber wer sich bei unruhigem Seegang auf einen Ausflug nach Helgoland begibt, kann davon durchaus erwischt werden.

Früher glaubte man, dass die Krankheit ausbricht, wenn die Lagemitteilungen des Gleichgewichtssinns des Innenohrs nicht mit den Eindrücken der Augen im Gehirn schnell und richtig verknüpft werden können. Allerdings können auch Blinde und sogar Fische (!) an dieser furchtbaren Geißel der Menschheit erkranken. Umgekehrt kann man sogar beim Betrachten von heftigen Sturmfahrten im Kinosessel seekrank werden.

Schon der alte Cicero wollte auf seiner Flucht lieber in den sicheren Tod gehen als weiterhin die Krankheit zu ertragen und ließ sein Schiff umkehren. Und auch dem britische Seeheld Lord Nelson wurde übel. Die alten Griechen schworen auf mit Seewasser vermischen Wein als Gegenmittel, die Ostfriesen verabreichen eine Diät aus Salzstangen und Cola. Andere wiederum vertrauen auf Akkupressur-Bänder oder kauen Ingwer-Wurzeln. Heutzutage verkaufen Apotheker für schwere Fälle vornehmlich Scopolamin-haltige Medikamente, die allerdings müde machen und eine ganze Reihe weiterer unangenehmer Nebenwirkungen haben. Immer hilfreich ist Beschäftigung, auf Segeltörns etwa als Rudergänger (interessanterweise erkranken PKW-Fahrer seltener als ihre Beifahrer oder gar auf dem Rücksitz). Und viel viel frische Luft.

Schweine werden nicht seekrank, wie man schon bei der österreichisch-ungarischen k.u.k. Kriegsmarine entdeckte, und auch Löwen können es nicht werden - wie lässt sich das erklären? Beide können das maßgeblich für allergische Reaktionen verantwortliche Hormon Histamin ausreichend abbauen, da sie sonst wie Menschen kein verdorbenes Fleisch aufnehmen könnten. Auch Schlafenden wird in der Regel nicht übel, denn nachts sinkt der Histaminspiegel signifikant ab. Für den österreichischen Allergologen und begeisterten Segler Reinhard Jarisch ist daher der Histaminabbau der Schlüssel für die Bekämpfung des Übels.

Er verweist auf die Ureinwohner von Samoa, die vor jeder Seereise Mangos verzehrten, "um die Speisen im Magen zu behalten". Skandinavische Seeleute verwendeten im 10. Jahrhundert die Rotalge Dulse (Palmaria palmata), um sich vor Skorbut und Seekrankheit zu schützen. Zurückzuführen ist diese positive Wirkung auf den hohen Vitamin C-Gehalt der Alge, das maßgeblich am Histamin-Abbau im Körper beteiligt ist. Jarisch verabreichte daher in Blindversuchen (also zum Teil mit Placebos) hohe Dosen des Vitamins an Soldaten der Bundesmarine und hatte damit beachtenswerte Erfolge.

Leider gelangen nur geringe Anteile über den Magen in die Blutbahn und werden schnell wieder ausgeschieden. Ideal sind daher Kautabletten, bei denen der Wirkstoff über die Mundschleimhaut aufgenommen wird. In Deutschland sind zur Zeit keine erhältlich, die ausreichend dosiert sind. Wenn Sie also einen Selbstversuch mit den rezeptfreien 500mg-Kautabletten Vitamin C starten wollen, sollten Sie beim nächsten Urlaub in Österreich einer Apotheke einen Besuch abstatten. Berichten Sie mir doch bitte von Ihren Erfahrungen.

Solange sollten Sie auf stark Histamin-haltige Nahrung vor und während einer Seereise verzichten (Käse und Wurst, Fleisch, Wein, Bier, Sekt, Essig und leider auch Schokolade) und stattdessen Vitamin-C-reiche unverarbeitete Kost bevorzugen: Broccoli, schwarze Johannisbeeren, Fenchel, Südfrüchte wie Orange, Zitrone, Grapefruit, Mandarinen, Papaya, Kiwi. Mit einer Portion grünem Paprika (200 g) decken Sie fast zweieinhalbmal Ihren Vitamin-C-Tagesbedarf ab.